Gambia Reisebericht von Georg Lohmann

„…und erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt…“

Stehe mit meinem Auto im Compound einer Lehrerfamilie. Habe den halben Tag gearbeitet. Eine Freundin hatte mich darauf hingewiesen, dass ihr Vater hier in dieser Gegend sehr engagiert gewesen sei, eine Schule mit aufzubauen. Finde die Webseite dieser Schule, fahre dorthin und stelle mich vor, sage aber zunächst nichts von der persönlichen Verbindung, da dies nicht abgesprochen war. Als ich erwähne, dass ich Handwerker sei, fragt man sogleich, ob ich Zeit hätte – es gäbe da ein paar Sachen zu reparieren…

Ich willige ein, mit der Vorgabe, dass ich am Sonntag, also vier Tage später, in Ziguinchor (Senegal) verabredet sei. Man führt mich durch die Schule und wir machen eine Bestandsaufnahme. Die Schule ist extrem gewachsen seit ihrer Gründung vor 17 Jahren. Es gibt einen großen Neubau für die gewachsene Schülerzahl; 2600 Kinder sind es jetzt, die regelmäßig diese Grundschule (1.-6. Klasse) besuchen.

Hof der Schule und Neubau

Einer der Klassenräume

Die Schule macht einen richtig guten Eindruck auf mich. Alles ist relativ gepflegt und sinnvoll eingerichtet. Alles, bis auf die Toiletten. Das sei zur Zeit eines der größten Probleme, gibt man etwas verschämt zu: Für die zweieinhalbtausend Schüler und Schülerinnen gibt es de facto nur drei funktionierende Toiletten. Alle andern seien kaputt und / oder außer Funktion. Es gäbe leider überhaupt kein Geld für Wartungs- und Renovierungsarbeiten, und deshalb arrangiert man sich halt mit diesem eigentlich unmöglichen Zustand.

Es schaut so aus, dass die älteste Toilettenanlage, ohne fließend Wasser, eigentlich nur extrem verdreckt ist, und ohne Türen, und so schlage ich einen Notfallplan vor, der bewirken kann, dass es – wenn ich wieder fahre, mindestens fünf zusätzliche Toiletten gibt, in denen halt, wie vielerorts üblich hier, das Wasser aus einem Eimer geschöpft werden muss. Und ich sage zu, dass ich die Kosten übernehmen würde bzw. dafür Sorge tragen würde, dass sie gedeckt sind. Große Dankbarkeit und Erleichterung! Mit Amadou, einem Lehrerkollegen mache ich mich auf den Weg, das benötigte Material einzukaufen. Was wie immer nicht einfach, aber möglich ist. Nur passende Schrauben fehlen mir noch. Das kenne ich ja schon.

Logo der Schulkleidung

Und nebenbei erfahre ich etwas mehr über diese merkwürdige Staatennachbarschaft Senegal und Gambia. Alle hier hätten irgendwie Verwandte im jeweils anderen Land, erzählt man mir. Die gemeinsame Sprache ist Malinke, nicht mehr Wolof – nur dass hier, in der ehemaligen englischen Kolonie, viele Menschen zusätzlich Englisch sprechen, vergleichsweise anscheinend mehr als im Senegal Französisch. Und ich erfahre, dass es anscheinend eine Art geschwisterlicher Rivalität gibt zwischen beiden Staaten. In Gambia seien die Menschen netter (finde ich ja auch), aber wenn es um die Arbeit geht, traut man den Senegalesen mehr zu als den eigenen Volksgenossen. Finde ich interessant und nicht vollkommen überraschend.

17. November 2023, Tag 125

Heute habe ich in meinem ursprünglichen Beruf als Werk- und Techniklehrer richtig gut gearbeitet! Ich habe mit ungefähr 15 engagierten und teilweise etwas übereifrigen Jungs fünf Toilettentüren gebaut. Wir haben sie zugeschnitten, geschliffen, stabilisiert, angepasst und mit Türangeln versehen. Ist gut gelaufen und hat Spaß gebracht. 

Viele Hände beim Schleifen der Türblätter

Und andere Schüler (ebenfalls nur Jungen) haben, ganz ohne mein Zutun, bereits den größten Teil der nötigen Reinigungsarbeiten in den Toiletten erledigt: Ich bin beeindruckt! Wobei sich herausstellt, dass der größte Teil dessen, was ich für Dreck hielt, Mörtelkleckse und -spritzer sind, welche die Maurer / Fliesenleger nicht beseitigt haben. Und seitdem auch niemand anderes, obwohl es relativ einfach geht – wenn man weiß, wie. Aber die Jungs machen, mit Anleitung und geeignetem Werkzeug, ihre Sache richtig gut!  

(Wenn ich sie, wie ich es am Anfang getan habe, einfach machen lasse, schrubben sie wieder und wieder mit der Bürste über den Mörtel, ohne jegliche ersichtliche Wirkung)

In der Mittagspause war ich für gut eine Stunde unterwegs, um die noch fehlenden Schrauben zu besorgen: Holzschrauben, 30 mm lang, 4 mm Durchmesser. An der Hauptstraße reiht sich ein Baustoffhändler an den nächsten, aber solche Schrauben hat keiner. Ich muss wieder und wieder erklären, denn dass es nicht irgendeine Schraube sein soll, sondern eine Holzschraube, Standardprodukt in deutschen Baumärkten, aber das erschließt sich den Händlern oder Händlerinnen (es sind einige Frauen dabei) nicht unbedingt. Jede(r) von ihnen hat ein paar Kisten mit Schrauben im Angebot. Deren Beschriftung sagt ihnen in der Regel anscheinend gar nichts, und dass es für unterschiedliche Verwendungszwecke unterschiedliche Schrauben gibt, scheint ziemlich unbekannt zu sein; Schraube ist Schraube! Fast jede Kiste wird aufgemacht, um den Inhalt mit meiner Musterschraube zu vergleichen (ohne die wäre ich völlig verloren!) – leider erfolglos. Erst beim zehnten Händler, den ich ansteuere, wähne ich mich am Ende dieser Reise: Er verkauft mir einen ganzen Karton mit Dübeln und dazugehörigen Schrauben, 30 mm lang. Die Dübel wollte ich zwar nicht, aber was soll‘s – immerhin die Schrauben habe ich gefunden. Denke ich. Bis ich dann beim letzten Arbeitsschritt, den wir heute vorhatten, der Montage der Türen im Hartholz-Türrahmen, merke, dass die neugekauften Schrauben der letzte Schrott sind. Auch mit Vorbohren brechen sie nach kurzer Zeit ab oder sie sind total ‚verwarzt‘. Die paar 30 mm Schrauben, die ich noch aus Dakar in meinem Sortierkasten habe, gehen ohne weiters rein. Ich bin frustriert, zumal es richtig Mühe macht, die abgebrochenen Schrauben wieder herauszubekommen.

Ich frage, ob es nicht irgendwo im Großraum der Hauptstadt einen richtig gut sortierten Baustoffhändler gäbe. Ja, in Old Yundum, 12 km weiter in Richtung Flughafen, hätte ich mehr Chancen, sagt man mir. Ich mache mich auf den Weg und finde einen ausgesprochen netten Händler mit anscheinend relativ großem Angebot – der, nachdem ich mein Anliegen vorgebracht habe, in großen Gläsern voll mit diversen Schlitzschrauben zu wühlen beginnt, um zu prüfen, ob da nicht auch welche mit 30 mm Länge und Kreuzschlitz dabei sind. Sind es nicht. Aber wir haben ein nettes Gespräch. Er finde mich sehr sympathisch, sagt er, und macht mir Komplimente. Ich lächle vermutlich etwas gequält. Aber dann, siehe da, hat er eine Idee: In den Schachteln mit Scharnieren, die er hat, ähnlich wie die, die ich bereits lose gekauft und montiert habe, befindet sich jeweils ein Bündel mit acht dazugehörigen Holzschrauben. 25 mm lang, immerhin. Fünf seiner Schachteln befreit er von den Schrauben und bietet mir diese zum Kauf an, für kleines Geld. Ich bin erleichtert und schlage zu – auch wenn ich nicht sicher bin, ob es morgen nicht auch mit diesen Schrauben eine böse Überraschung geben wird.

Freitag-Nachmittag: Schulwettbewerb „Quiz und Debatte“

Die Inschrift ist schon etwas verblichen: Seit 17 Jahren helfen diese deutschen Vereine beim Aufbau von Schule und Kindergarten. Der Vater ener Freundin ist dort sehr engagiert

Im Laufe des Tages habe ich auch ein Gespräch mit Uli und seiner Frau vom deutschen Unterstützerverein. Sie sind versierte Afrikafahrer und seit eineinhalb Jahrzehnten engagiert für den Aufbau dieser Schule samt Kindergarten. Aber auch sie wirken ziemlich frustriert. Sie hatten sich vor einiger Zeit erfolgreich für den Aufbau einer Schulküche eingesetzt und haben jetzt auf längere Sicht Spender für die nötigen Lebensmittel gefunden, um täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich eine warme Mahlzeit anbieten zu können. Was sie aber auf Dauer nicht bezahlen wollen und können, das sind Menschen, die für die Kinder kochen. Und das sei der Engpass gerade, erzählen sie: Niemand wolle das für umsonst machen, und die Lehrer würden sich weigern, von den teilnehmenden Schülern einen kleinen Beitrag, ungefähr 10 ct pro Tag würde ausreichen, fürs Essen einzusammeln, um die Köchinnen bezahlen zu können – weil es immer wieder heißen würde, die Schüler hätten kein Geld dafür. Dann zuschauen zu müssen, welche Umsätze am Stand mit den Süßigkeiten gemacht würden, die im Schulhof oder vor der Schule verkauft werden dürften – das sei schon hart, meint Uli.

Süßigkeiten-Stand beim Schulwettbewerb „Quiz und Debatte“

Zugleich hatte ich beim Mittagessen mit den Lehrern, dem klassischen ‚Riz aux Poisson‘ (allerdings ohne den namensgebenden Fisch, nur mit etwas Fischgeschmack in der Soße) bei dem einige der mitarbeitenden Jungen mitessen durften, durchaus den Eindruck, dass diese schon längere Zeit nichts Richtiges mehr gegessen hätten – so, wie sie den Reis in sich hineinschaufelten. Es gibt also anscheinend durchaus Bedarf.

Deutsche scheinen hier übrigens außergewöhnlich beliebt zu sein. Es gibt anscheinend viele private Initiativen aus Deutschland zur Unterstützung von konkreten Projekten – und dass fast alle Taxen alte Mercedesmodelle der C-Reihe sind, die in der Regel einen wesentlich bessern Eindruck machen als die Taxis in Dakar, das scheint auch zu beeindrucken.

Das Taxi der Familie, bei der ich zu Gast bin: Mercedes C 200 – auch in Deutschland damals ein Taxiklassiker

18. November 2023, Tag 126

Compound. Dieser Begriff war mir in meiner vorbereitenden Lektüre öfters aufgetaucht als Familienwohnsitz in einem Dorf, für eine Ansammlung von Hütten, die zu einer Großfamilie gehören. Ich hatte das immer für etwas eher Historisches gehalten, aber da habe ich mich geirrt: Als Großfamilienwohnsitz erfreut er sich auch heute noch großer Beliebtheit. Ich wohne gerade in einem solchen bzw. habe mein Auto darin abgestellt und übernachte da drin. Lamin, einer der Lehrer der Schule, hat mich zu sich eingeladen, und ich bekomme so afrikanisches Großfamilienleben aus nächster Nähe mit: Dieser Compound ist ziemlich groß, ich schätze seine Größe auf 20×30 Meter, also gut 600 m², plus großes Gartengrundstück nebenan. Letzteres ist scheinbar eher ungewöhnlich. 

Das eine der Wohngebäude mit Toreinfahrt

Der Compound, immer durch eine relativ hohe Mauer eingezäunt, hat zwei Wohnhäuser plus eine Hütte für die gemeinsame Küche, mit offenem Holzfeuer darin. Vier große Mangobäume geben dem Platz viel Schatten. Lamin hat zwölf Geschwister oder Halbgeschwister, sein verstorbener Vater hatte zwei Frauen. Seine Mutter als Familienoberhaupt (diesen Eindruck macht es, aber ich würde es nicht beschwören) plus ungefähr fünf seiner Geschwister wohnen hier mit ihm zusammen, plus ihre jeweiligen Ehegefährten und ihre Kinder; insgesamt sind es 27 Personen.

Blick in den Innenhof des Compound

Wäsche waschen – immer so!

Blick in die gemeinsame Küche

Blick auf die Brennholz-Vorräte

Dazu kommen noch ein paar Hunde, einige Ziegen und eine ganze Anzahl von Hühnern (und ein Hahn, sehr lautstark!). Tagsüber dominieren die Frauen, die Männer sind auf Arbeit. Einer hat ein eigenes Taxi, einer arbeitet auf dem Bau, Lamin ist Lehrer an der Grundschule, eine Schwester ist auch Lehrerin, von den anderen weiß ich es nicht. Ich schätze, dass es ungefähr acht Zimmer im Compound gibt; kennen tue ich nur das von Lamin genutze. Hockklo und Dusche gibt es im Freien. Jeden Morgen wird der gesamte Hof, dessen Fußboden aus festem Sand besteht, sauber gefegt, die Tiere versorgt, die Wäsche teilweise gewaschen – das ist es, was ich mitbekam bevor ich gegen 8:00 das Haus verlassen habe um zu arbeiten.

Wir haben es tatsächlich geschafft, fünf Toiletten zu reparieren und wieder für die Nutzung zugänglich zu machen. Es war ein kräftiger Einsatz und mit nur zwei Arbeitstagen knapp kalkuliert. Aber es hat geklappt. Die Schüler haben toll mitgemacht und es ist mehr fertig geworden, als ich es anfangs erhofft hatte. Das macht mich glücklich. Und die Schrauben haben funktioniert! 60 Schrauben mit der Hand reinzudrehen, mit meiner kaputten rechten Hand überwiegend, war ganz schön herausfordernd (siehe Dakar III, Makita-Akkus), und ich bin glücklich darüber, dass in dieser Hinsicht so vieles schon wieder möglich ist. Ich hatte die Aufgabe zunächst Schülern und dann dem mithelfenden Lehrer übertragen, aber da hatte es soo lange gedauert, dass es meine Geduld überstrapaziert hat. Auch Schrauben drehen will gelernt sein. Nur mein Kopf – da, wo nur noch wenige Haare wachsen und man deshalb alles sieht – fühlt sich an wie eine Kraterlandschaft. Die Türöffnungen haben – Grundschultoilette! – in ungefähr 1,70 Meter Höhe einen Querbalken. Ich bin 1,80 m groß, und habe irgendwie kein Radar für Dinge in dieser Höhe, so dass mich diese Balken oft zum Fluchen gebracht haben. Gehört sich vermutlich nicht für eine Lehrperson. War mir aber egal.

In einer Sache bin ich wiederholt mit den Schülern (keine Schülerinnen!) aneinandergeraten: Wieder und wieder haben sie den großen Gartenschlauch beim 50 m entfernten Wasserhahn geöffnet und das Wasser andauernd laufen lassen, die größte Zeit davon ungenutzt, obwohl ich jede Menge Eimer besorgt hatte. Genau dieser verschwenderische Umgang mit Wasser war es, der dazu geführt hatte, dass das fließende Wasser, welches es ursprünglich auf den Toiletten gab, wieder abgestellt wurde, hatte mir Uli gestern erzählt – ohne dass ich alle Details schon verstanden hatte. Ich bin gespannt (und werde es unter Umständen nicht erfahren), wie es nun weitergeht mit den Toiletten. Sie brauchen auf jeden Fall einiges an Organisation und Fürsorge, um gut genutzt werden zu können, und damit hapert es, was Dinge angeht, in Afrika anscheinend öfters. Aber man verspricht mir, gut dafür Sorge zu tragen! Und man hätte mich gerne möglichst bald wieder hier! Es gäbe da noch so einiges zu tun…

Und so nutze ich diesen Blog, um auf das Spendenkonto des Unterstützervereins hinzuweisen. 100 % aller Spenden gehen direkt in die Projektarbeit vor Ort, verspricht der Verein, der seit langem dieses konkrete Projekt hier in Gambia tatkräftig und erfolgreich unterstützt und jeden Cent Spendensumme gut gebrauchen kann: 

Kindergarten Linden, Schul- und Dorfentwicklung in Gambia e.V
IBAN DE58 4305 1040 0000 0767 60